Anschauen von Internetseiten ist keine Urheberrechtsverletzung (EuGH C-360/13)
André Stämmler
Mit Urteil vom 5.5.2014 (AZ: C-360/13) entschied der europäische Gerichtshof, dass das bloße Anschauen von Inhalten im Internet grundsätzlich kein Verstoß gegen das Urheberrecht darstellt. Der Tenor der Entscheidung:
Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die von einem Endnutzer bei der Betrachtung einer Internetseite erstellten Kopien auf dem Bildschirm seines Computers und im „Cache“ der Festplatte dieses Computers den Voraussetzungen, wonach diese Kopien vorübergehend, flüchtig oder begleitend und ein integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens sein müssen, sowie den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie genügen und daher ohne die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber erstellt werden können.
Warum diese Frage zu klären war, mag vielleicht auf den ersten Blick nicht sofort einleuchten. Im Urheberrecht gilt grundsätzlich die Regel: bloßer Genuss stellt kein Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Schaut man sich aber Inhalte im Internet an, findet notwendig immer eine Zwischenspeicherung, wenigstens in der Cache, statt. Streitig ist dabei, ob diese Zwischenspeicherung eine genehmigungsbedürftige Vervielfältigung darstellt oder nur eine notwendige Zwischenspeicherung bei einer technischen Übertragung und damit eine Ausnahme nach Art. 5 II der Richtlinie begründet, nach der keine Erlaubnis des Rechteinhabers benötigt wird.Voraussetzung für eine solche Ausnahme, dass die Vervielfältigung:- vorläufig ist;- flüchtig oder begleitend ist;- einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellt;- den alleinigen Zweck hat, eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder eine rechtmäßige Nutzung eines geschützten Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und- keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung hat.Die letzten beiden Voraussetzungen hatte bereits das Ausgangsgericht festgestellt. Der EuGH musste sich somit im Rahmen der Vorlage nur noch mit den ersten drei Voraussetzungen der Ausnahmeregelung beschäftigen.
Vorläufige Vervielfältigung
Zur Voraussetzung der „Vorläufigkeit“ führt der EuGH wie folgt aus:
Was die erste Voraussetzung der Vorläufigkeit der Vervielfältigungshandlung betrifft, so geht aus den Akten zum einen hervor, dass die Bildschirmkopien gelöscht werden, sobald der Internetnutzer die aufgerufene Internetseite verlässt. Zum anderen werden die Cache-Kopien gewöhnlich automatisch nach einer gewissen Zeit, abhängig von der Kapazität sowie vom Volumen und der Häufigkeit der Internetnutzung des betreffenden Internetnutzers, durch andere Inhalte ersetzt. Somit haben diese Kopien vorläufigen Charakter.
Integraler oder wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens
iÌn einem zweiten Schritt prüft das Gericht die dritte Voraussetzung des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie. Damit diese Voraussetzung erfüllt ist, müssen wiederum zwei Merkmale vorliegen. Zum einen,
dass die Vervielfältigungshandlungen vollständig im Rahmen der Durchführung eines technischen Verfahrensvorgenommen werden, und zum anderen,
und
dass die Vervielfältigungshandlung notwendig in dem Sinne ist, dass das betreffende technische Verfahren ohne sie nicht einwandfrei und effizient funktionieren könnte (vgl. Urteil Infopaq International, EU:C:2009:465, Rn. 61, und Beschluss Infopaq International, C-302/10, EU:C:2012:16, Rn. 30).
Beide Merkmale bejaht der Gerichtshof.
Flüchtige oder begleitende Vervielfältigung
Die Vervielfältigungshandlungen müssen darüber hinaus entweder flüchtig oder begleitende Erscheinungen sein.Flüchtig ist eine Vervielfältigung Handlung dann,
wenn ihre Lebensdauer auf das für das einwandfreie Funktionieren des betreffenden technischen Verfahrens Erforderliche beschränkt ist, wobei dieses Verfahren derart automatisiert sein muss, dass es diese Handlung automatisch, ohne menschliches Eingreifen, löscht, sobald ihre Funktion, die Durchführung eines solchen Verfahrens zu ermöglichen, erfüllt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Infopaq International, EU:C:2009:465, Rn. 64).
Begleitend ist eine Vervielfältigungshandlung,
wenn sie gegenüber dem technischen Verfahren, dessen Teil sie ist, weder eigenständig ist noch einem eigenständigen Zweck dient.
Auch diese beiden Merkmale bejaht der EuGH. Er unterscheidet jedoch zwischen Bildschirmkopien, welche als flüchtig und Cachekopien, welche als begleitend eingestuft werden. Die Unterscheidung macht jedoch für die praktische Beurteilung keinen Unterschied. Letztlich muss nur eines der Merkmale erfüllt sein.
Was ist mit Streaming? – Ist das jetzt legal?
Auf den ersten Blick scheint mit dem nun vorliegenden Urteil auch die Frage geklärt, ob Streaming legal ist oder nicht. Streaming liegt in einer Grauzone. Viele Juristen gehen davon aus, dass beim Streaming ebenfalls nur eine „flüchtige Vervielfältigung“ stattfindet, bei der es keiner Genehmigung des Rechteinhabers bedarf. Die Diskussion entflammte erstmals mit einer Abmahnungswelle durch die U+C Rechtsanwälte Ende 2013. Hier wurden vermeintliche Redtube-Nutzer abgemahnt, die angeblich illegale Vervielfältigungen auf dem Portal redtube.com streamten. Die Abmahnwelle verlief jedoch im Sande. Die grundsätzliche Frage nach der Einstufung von Streaming bleibt aber.Schaut man sich das Urteil an, könnte man ohne weiteres davon ausgehen, dass sich die Frage des Streamings erledigt hat und Streaming als völlig legal einzustufen ist. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. Der EuGH stellt ausdrücklich klar dass eine Ausnahme nur unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie ist,
in denen die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.
Hier muss also ein Interessenausgleich zwischen den Rechteinhabern und Nutzern stattfinden. Der Unterschied zwischen Streaming und dem zu Grunde liegenden Ausgangsfall dürfte darin liegen, dass beim Ausgangsfall grundsätzlich von legalen Veröffentlichen auszugehen ist.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Werke den Internetnutzern von den Herausgebern der Internetseiten zugänglich gemacht werden, die ihrerseits nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 die Zustimmung der betreffenden Urheberrechtsinhaber einholen müssen, da diese Zugänglichmachung eine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieses Artikels darstellt.
Darüber lag im Ausgangsfall eine normale Verwertung der Werke vor,
Die Betrachtung der Internetseiten mittels des in Rede stehenden technischen Verfahrens stellt eine normale Verwertung der Werke dar, durch die die Internetnutzer in den Genuss der von den Herausgebern der betreffenden Internetseite bewirkten öffentlichen Wiedergabe der Werke gelangen können. Da die Erstellung der betreffenden Kopien einen Bestandteil der Betrachtung bildet, kann sie eine solche Verwertung der Werke nicht beeinträchtigen.
Diese Voraussetzungen dürften beim Streaming von aktuellen Kinofilm, die illegal auf Streaming Portalen zur Verfügung stehen nicht zwingend gegeben sein. Geht man rein vom technischen Aspekt aus, dürfte sich beim Streaming ohne weiteres um eine flüchtige Vervielfältigung handeln welches die Voraussetzung des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie erfüllt. Streaming wäre damit grundsätzlich legal.Berücksichtigt man aber darüber hinaus noch die einschränkende gegen Ausnahme des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie, bleibt abzuwarten, ob Gerichte diese Argumentation ebenfalls auf Streaming anwenden.Volltext: Urteil des Europäischen Gerichtshof, Aktenzeichen: C-360/13,